Es sind seltsame Zeiten. Aber vielleicht war das schon immer so – und jede Generation glaubte, am Wendepunkt zu leben. Stets dabei: Dieser leise Zweifel, ob man den eigenen Moment in der Geschichte überhaupt wirklich erkennt?
Können wir einen gesellschaftlichen Kollaps überhaupt rechtzeitig von innen heraus erkennen – und vor allem realistisch einschätzen, was er bedeutet? Oder funktionieren wir weiter, aus Gewohnheit, aus Pflichtgefühl – weil der Mensch eben auch im Ausnahmezustand den Bus zur Arbeit nimmt?
Familiär wurde mir oft erzählt, dass die meisten DDR-Bürger:innen nach ihrem extrem überraschenden Mauerfall-Ausflug nach West-Berlin am nächsten Morgen wieder ordnungsgemäß zur Arbeit in DDR-Betrieben erschienen sind.
Sollte man also auch dankbar sein, dass unsere Gesellschaften angesichts der nun kommenden Folgen der Klimakrise eben nicht in Panik und Chaos verfallen?
Ist es nicht auch eine Form der Resilienz, stoisch zur Arbeit zu gehen und die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten? Dass der Protest zum Heizungsgesetz (zusätzlich aufgewiegelt durch die Gas-Lobby) vergleichsweise „harmlos“ verlief, keine Grünen-Politiker:innen ermordet wurden, kein Bürgerkrieg ausbrach?
Dass Faschist:innen den Staat liebend gerne in einer solchen Chaos-Situation in eine Diktatur transformieren würden, daran lassen sie seit Jahren keinen Zweifel.
Mit diesem „bare minimum“ von „Danke, dass kein Bürgerkrieg ausbricht!“ ist es natürlich extrem schwer, Gesellschaften auf klimaneutrales Wirtschaften, Wohnen, Essen & Co umzustellen. Ganz zu schweigen von der belastenden Drohkulisse „Krieg in Europa“ sowie der weiterhin bestehenden wirtschaftlichen Konkurrenz zwischen Nationalstaaten: „Zuerst unseren Wohlstand sichern!“. Das macht eine schnelle, global-solidarische Lösung der Klimakrise in meinen Augen nicht einfacher.
Wo ist sie also, die gemeinsame Perspektive der Unter- und Mittelschicht für eine (halbwegs) lebenswerte Zukunft?
Leistbare Mieten, (endlich) gerechte Löhne für gesellschaftlich relevante Jobs, 36h-Woche / 4-Tage-Woche, Kita, ein bedingungsloses Grundeinkommen oder eine staatliche Job-Garantie? Klimaanlagen und Extremwetter-Schutz für alle?
Oder ein „Es bleibt bitte möglichst alles so, wie es jetzt ist!“?
Mir scheint, wir kommen langsam an den Punkt, dies ehrlich zu diskutieren.
Mein (vielleicht naiver) Glaube ist inzwischen übrigens, dass sich nachfolgende Generationen definitiv an riskantem Solar Geo-Engineering versuchen werden. Ich glaube nicht, dass sie sich einfach mit dem Leben in der Hitze-Hölle zufrieden geben. Dass die Babys und Kleinkinder, die man heute freudig auf der Straße sieht, zumindest eine letzte Selbstverteidigungs-Option haben beruhigt zumindest ein wenig.
Während ich mir all diese Fragen stelle, läuft im Hintergrund ein Vergleichsvideo für „smarte“ Küchenmaschinen und ich frage mich, ob ein jährliches Abo für eine „Guided-Cooking“-App wirklich nötig ist.
So schlimm kann es also (noch) nicht sein?
Während hier belanglose Einkaufsentscheidungen abgewogen werden, sterben anderswo Menschen – in Schützengräben, an Außengrenzen, in Hitze, Hunger oder Flucht. Diese Gleichzeitigkeit von Komfort und Katastrophe wirft eine unbequeme Frage auf: Was hält unsere Gesellschaft im Innersten zusammen – jenseits von Rückzug ins Private, „jeder ist seines Glückes Schmied“ und zynischer Abgrenzung?
Wie lernt man wieder gemeinsam ein „authentisches Wir“ zu sein?
Inhalt
- Soli(darisches) Prepping – Kongress, 14.6.2025, Berlin
- Die Erzählung, dass die Einzelnen zur Einrichtung ihrer Lebensumstände fähig sein sollen, ist Ideologie – Alex Struwe
- In Deutschland wird mehr gearbeitet als je zuvor – Teresa Bücker
- Lasst uns stattdessen über gute, sinnvolle Arbeit sprechen – Sara Weber
- Wie krass werden die KI-Auswirkungen wirklich?
- Podcasts
- Wir haben unser Klassenbewußtsein verlernt – Schweigen ist Zustimmung!
- Den Job kündigen, um sich endlich frei (vom System) zu fühlen? – Raphael Thelen im Pod der guten Hoffnung
- Erleben wir das Ende des Westens, Philipp Blom? – Falter Radio
- Bregman Wants to Save Elites From Their Wasted Lives – The Daily
- Killt das österreichische Sparbudget den Klimaschutz? – Falter Natur
- Reportagen
- Bücher
- Debatten
- Kleine Aufmunterung für Millenials