Rutger Bregman ist niederländischer Historiker, Aktivist und Autor von Büchern wie „Utopien für Realisten“ oder „Im Grunde gut“. Sein neues Buch trägt den Titel „Moralische Ambition. Wie man aufhört, sein Talent zu vergeuden, und etwas schafft, das wirklich zählt“. Doch dieses Mal geht Bregman einen Schritt weiter und gründet die Stiftung „School for Moral Ambition“, zusammen mit Designer Harald Dunnink, Ex-Bänkerin Julia van Boven, Ex-Consultant Jan-Willem van Putten sowie Entrepreneur Ruben Timmerman.
„Follow your passion is a terrible advice“
Rutger Bregman postete vor einigen Monaten seine Meinung zum Karriere-Tipp „Follow your passion“ (Instagram). Für ihn ist dieser weder sehr ambitioniert – noch werden dabei die großen Herausforderungen der Welt in den Blick genommen:
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It’s become standard career advice: follow your passion! Millions of job coaches help us to look inward and find our ultimate ‚purpose‘, so that we can do ‚what we really want‘.
To be honest: I think this is terrible advice. All this navel-gazing is not what the world needs, and I wonder whether it’s even making people happier. Gandalf never asked Frodo: ‚What your passion, Frodo?‘ He said: ‚This really needs to happen, and I think you can do it!‘
So, a much better question to start with would be: what are the biggest problems in my community, in my country, and in the world, and how can I make a substantial difference?
Someone who’s done exactly this is Lucia Coulter, co-founder of one of my favorite organizations, the Lead Exposure Elimination Project. No, fighting lead poisoning wasn’t always Lucia’s dream or ‚passion‘. But she and her colleagues […] https://www.instagram.com/reel/DBHFM0qMVBm/
Seine Beobachtungen hat Bregman nun als Buch – sowie mit der Gründung einer neuen Stiftung weiter vertieft.
Der Soziologe Andreas Reckwitz hat das Buch „Verluste – Ein Grundproblem der Moderne“ veröffentlicht. Eine der Thesen: Das, was wir euphorisch als das ’neue Normal‘ nach dem Mauerfall angenommen haben, war nur ein kurzes Intermezzo. Diese Erkenntnis kann weh tun. Andreas Reckwitz war bei SRF Sternstunde Philosophie zu Gast, die Sendung gibt es auch als Podcast-Episode:
Andreas Reckwitz: Man dachte, alles läuft auf die westliche Moderne zu. Sie steigert sich selber noch einmal, sie transformiert sich positiv durch die Digitalisierung. Und der Rest der Welt macht mit.
Interviewer: Man erkennt das an Werbesprüchen. Toyota fängt 2000 an zu sagen: „Nichts ist unmöglich.“ Ja. – Ein expansives Bewusstsein. Wir können alle überall hinfliegen. – Es gibt die Generation Easyjet. Die Welt war unsere kleine Auster, und wir konnten alles tun. Genau.
Andreas Reckwitz: Glaube an die Globalisierung, an ihre positive Kraft. Glaube an die Demokratie als die Staatsform, die sich auf dem ganzen Globus ausbreiten wird. Auch der Glaube an den technischen Fortschritt hatte sich auch revitalisiert. Das war ja vorher auch anders, z.B. bei der Atomkraftdebatte. Insofern erschien es eigentlich in den 90er- und Nullerjahren so, als ob sich doch wieder alles auf das Fortschritts- und Zukunftsgleis eingespielt hätte. Es schien, als hatten wir vorher nur ein depressives Intermezzo. Die Moderne geht weiter. Aber tatsächlich scheint es, dass es umgekehrt ist, dass die 90er- und Nullerjahre ein euphorisches Intermezzo waren. Also es schien nur so, dass der Fortschritt die einzige Möglichkeit in der Zukunft ist. Und das hat sich tatsächlich in den letzten Jahren verändert durch eine ganze Reihe von Faktoren. Auch der Aufstieg des Populismus zeigt ja den Protest und die Empörung von Modernisierungsverlierer/-innen, die sagen: „Das ist nicht unser Fortschritt.“ „Wir sind hier die Vergessenen, wir sind die Verlierer.“ Dann kommt natürlich jetzt mit Wucht das Bewusstsein des Klimawandels. Den gab es vorher auch schon, aber das Bewusstsein ist jetzt stärker. Das ist hinzugekommen. Dann eben noch, was wir schon angesprochen haben, die Erosion der liberalen Weltordnung. Die globale Ordnung ist bei weitem nicht mehr so stabil, wie wir das gedacht haben. […]
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Nach der Klima-Hoffnung und den Massenprotesten der letzten Jahre folgte nun spätestens dieses Jahr die Klima-Ernüchterung. Die „Just Stop Oil“-Aktivistin Louise Harris hat schon im letzten Winter den Song „We tried“ veröffentlicht. Dieser passt wohl eindrücklich zum kollektiven Trauer- und Verarbeitungsprozess bezüglich des nun eindeutigen gescheiterten 1,5-Grad-Ziels. Und auch das 2-Grad-Ziel wird zukünftig nicht erreichbar sein laut aktuellen Prognosen. Wie geht es jetzt weiter?
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Das Video aus dem Jahr 2023 endete noch mit dem kämpferischen Hinweis auf das kurze Zeitfenster, in welchem die Erderhitzung noch sinnvoll begrenzt werden kann.
Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der Wiener BOKU, hat sich immer wieder lautstark engagiert. Er hatte sich zuletzt auch mit der Protestbewegung Letzte Generation solidarisiert, die inzwischen ihre bisherige Protestform eingestellt hat. Im Interview bei FM4 erklärt Steurer, warum er keine politischen Anzeichen sieht, dass dieses kurze Zeitfenster noch ernsthaft genutzt wird von der Weltgemeinschaft – und wie für ihn ein „Klimaschutz 2.0“ aussehen könnte:
Barbara Prainsackist Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und hat im Jahr 2023 das Buch „Wofür wir arbeiten“ veröffentlicht.
Wie wollen und werden wir zukünftig arbeiten? Die tradierten Modelle funktionieren nicht mehr: Während die einen von ihrer Erwerbsarbeit kaum leben können, leiden viele Bereiche unter Arbeits- und Fachkräftemangel. Arbeit ist zudem eine Frage der Solidarität: Der Applaus für „systemrelevante Berufe“ war von kurzer Dauer, die Care-Arbeit – vor allem von Frauen – hält das System am Laufen, wird aber weder angemessen entlohnt noch gesellschaftlich gewürdigt. Für die „Generation Z“ zählt Work-Life-Balance mehr als die 40-Stunden-Woche. Dem entgegengesetzt steht die Forderung mancher Arbeitgeber nach längeren Arbeitszeiten. Verschärft wird die Situation zudem durch den demografischen Wandel, Digitalisierung und Automatisierung. Fundiert und scharfsichtig legt Barbara Prainsack die Fehler unseres Verständnisses von Arbeit offen und zeigt den Weg zu einer gerechten und sinnstiftenden Arbeit für alle auf.
Im Kepler Salon der Uni Linz hat sie nun hierzu Rede und Antwort gestanden:
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Sehr optimistisch ist sie aktuell jedoch nicht hinsichtlich der gesellschaftlichen Lage:
Wir wissen allerdings noch nicht welche [österreichische] Regierung kommt. Ich bin prinzipiell für die nähere Zukunft nicht sehr optimistisch, weil ich glaub der Diskurs sehr verschoben ist. Weil viele Leute Dinge befürworten, die ihren eigenen Interessen entgegenlaufen. Foucault hat es ja berühmterweise so ausgedrückt, dass Menschen irgendwann mal selbst zum Instrument der Regierung werden indem sie dieselben Werte auf sich anwenden. Und wenn ich Leute höre – also Leute, die wirklich geringe Einkommen haben – die dann sagen „Ich bräuchte schon mehr, ich kann jetzt nicht mehr nach dem Chor mitgehen zum Trinken, ich kann es mir nicht mehr leisten beim Wirten – aber wenn unsere Einkommen steigen, dann steigt die Inflation …“. Also das beschreibt glaube ich das Bild sehr gut […].
Weitere Diskussionen und Interviews mit Barbara Prainsack:
Aktivist Tadzio Müller war im taz Talk und hat u.a. darüber gesprochen, warum früher das Wort „Klimaanpassung“ nicht gern gehört wurde von Aktivist:innen – es jetzt aber umso wichtiger ist aus seiner Sicht. Und warum er die Welt langfristig auf 6 Grad Erhitzung zusteuern sieht, die Klimabewegung gescheitert ist und die Gegenseite gewonnen hat. Und dass wir leider durch diesen „River of Shit der Erkenntnis“ durch müssen, wenn wir nicht einfach nur weiter verdrängen wollen. Laut ihm geht es zukünftig darum, den Kollaps (gerecht) zu gestalten und dadurch wieder Selbstwirksamkeit zu erleben – statt deprimiert zu sein. Im August 2025 ist hierzu u.a. ein Kollaps-Camp geplant.
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Kommt der Klimakollaps? – taz Talk mit Tadzio Müller (YouTube)(mehr …)
Barbara Blaha, Leiterin des Momentum Instituts*, mit einem großartigem Vortrag auf der republica-Konferenz 2024:
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Soziale Veränderungen brauchen einen langen Atem, aber sie sind möglich laut Barbara Blaha – wenn wir uns aktiv dafür einsetzen:
Damit aus unseren Träumen Taten werden, müssen wir fünf Dinge verinnerlichen.
Erstens. Veränderung kommt nicht durch Wahlen. Nie. Politik kann Veränderung im Parlament schlussendlich dann absegnen. Aber auf der Straße wird sie angestoßen. Politik kann nur aufgreifen, was schon da ist und kann dann Normen, Werte und Regeln dazu schaffen. Es braucht also uns. Es braucht den Druck von „unten“, damit wir Veränderungen gegen die Apparate der Hegemonie überhaupt durchsetzen können.
Zweitens. Veränderung ist Training und braucht Training. Es ist wie ein Muskel wir müssen ihn trainieren. Jeden Tag, „use it or lose it“. Es hat keinen Sinn, sich erst in der absoluten Notsituation dazuzuschalten. Wer dann erst kommt, ist zu schwach um Veränderung überhaupt durchsetzen zu können.
Und Veränderung erkämpfen ist selbst mit viel Training verdammt unangenehm und unbequem. Wer Fortschritt will, ist zu allererst mal lästig. Das liegt in der Natur der Sache. Wer den Status Quo herausfordert, der rüttelt an den Verhältnissen – sonst stabilisiert er sie. Es ist der Sand in der Auster, der die Perle macht. Antonio Gramsci, ein italienischer Philosoph, hat nicht nur Theorien über Hegemonien geschrieben, sondern er war auch selbst aktiv. Er hat Zeitungen gegründet, gegen den Faschismus angeschrieben und am Ende dafür mit seinem Leben bezahlt und er sagt über sich, er ist „ein Partisan gegen die Gleichgültigkeit“. Er sagt „Leben ist Partei ergreifen“. Und wer Partei ergreift, macht sich angreifbar. Aber wenn wir keinen Gegenwind spüren, dann gehen wir ganz sicher in die falsche Richtung.
Viertens. Veränderung ist immer arbeiten am System, nicht arbeiten am Symptom. Bewusster Konsum, so richtig und wichtig das auch ist, wird unsere Welt nicht retten. Die Sklaverei wurde nicht von ein paar Konsumentinnen und Konsumenten abgeschafft, die beschlossen haben keine Sklaven mehr zu kaufen. Sondern von Bürgern und Bürgerinnen, die gemeinsam beschlossen haben die Sklaverei abzuschaffen. Und wir wissen, wie das damals gelungen ist – durch kollektives Handeln. Das ist unser allerstärkster Muskel und wir alle miteinander haben ihn schon ein bisschen länger nicht trainiert, sind mer uns ehrlich. Gerade wir, die wir doch wissen was die Klimakrise mit uns machen wird. Die so gut informiert sind. Wir wählen das richtige, wir kaufen das richtige, aber sonst … Nichts ist weniger unschuldig als den Dingen ihren Lauf zu lassen.
Und fünftens, Veränderung geht langsam und es ist nie fertig. Frauen verdienen weniger als Männer, heute noch. 6, 8, 10 Prozent – je nachdem wie man es rechnet. Gleichzeitig aber sage ich euch, es ist viel weniger als es früher war. Ist das gut? Ja! Ist es gut genug? Nein, natürlich nicht! Aber wir brauchen die Fähigkeit, Zwischenerfolge und Zwischenetappen zu sehen und zu feiern um uns die Kraft zu erhalten weiterzukämpfen. Wir werden ein Leben lang schieben müssen. Es ist immer zu früh nach Hause zu gehen.
Das heißt also die gute Nachricht ist, wir können eine andere Welt schaffen. Die schlechte Nachricht für euch: Alles muss man selber machen. So wie die, die vor uns da waren, es ja auch gemacht haben. [..]
* Das Momentum Institut ist eine gewerkschaftsnahe österreichische „Denkfabrik der Vielen. Das Momentum-Team erarbeitet und verbreitet seit 2019 konkrete, konstruktive Vorschläge für eine nachhaltige und gerechtere Gesellschaft.“.
Den Erfolg unseres Wirtschaftens skaliert das Bruttoinlandsprodukt – wenn es wächst, dann haben alle mehr Geld zur Verfügung und der Staat kann für sozialen Ausgleich sorgen. An dieses Narrativ sind wir so gewöhnt, dass es uns alternativlos erscheint. Die Gesetze unserer Wirtschaftsordnung erscheinen uns als Naturgesetze und die Wirtschaftswissenschaften als Naturwissenschaften. Daher halten nicht nur Konzerne und reiche Menschen am extraktiven System fest, sondern auch die meisten kleineren Unternehmen – auch sie müssen ihre Gewinne maximieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Auch individuell merken immer mehr Menschen, dass sie unter diesem System leiden, aber ihr Handlungsspielraum ist begrenzt, weil sie in strukturellen Zwängen feststecken.
[…]
Aber sind wir ehrlich: Mit der Einführung einiger Scrum-Meetings hat noch keine Organisation das Wirtschaftssystem oder auch nur sich selbst revolutioniert. New-Work-Praktiken allein sind nicht die Lösung. Unternehmen müssen sich ihrer ethischen Verantwortung bewusst werden und nicht nur im Rahmen von Wettbewerbsvorteilen aktiv werden. Das bedeutet, einen Purpose zu formulieren und klar festzulegen, welchen gesellschaftlichen oder ökologischen Beitrag sie leisten wollen.
Die Show MAITHINK X, moderiert von Mai Thi Nguyen-Kim, hat sich die Studien zur 4-Tage-Woche unter die Lupe genommen. Herausgekommen ist u.a. ein starker Einspieler, der die Geschichte der Arbeit von der 7-Tage-Woche bis zur 40h-Woche und den damit verbundenen, gewerkschaftlichen Arbeitskämpfen zeigt. Funfact: Vertreter:innen der Wirtschaft warnten vor jeder der bisher erfolgten Veränderungen sehr eindringlich.
Fünf Tage arbeiten, zwei Tage Freizeit. Das ist für viele von uns vermutlich Normalität. Tatsächlich hat sich die 5-Tage-Woche erst Ende der 70er Jahre so richtig durchgesetzt.
Fröhlich arbeiten, während die Klimakrise weiter eskaliert?
Dieser Blog beschäftigt sich mit den Widersprüchen der aktuellen Arbeitswelt im Kontext der Klima- und Biodiversitätskrise, primär aus Sicht von „normalen“ Angestellten.
Hinweis zu mentaler Gesundheit
Falls dich die Nachrichten zur Lage der Welt oder die Klimakrise sehr stark belasten, gibt es Unterstützungsangebote. Niemand ist allein damit! 💚