Der Soziologe Andreas Reckwitz hat das Buch „Verluste – Ein Grundproblem der Moderne“ veröffentlicht. Eine der Thesen: Das, was wir euphorisch als das ’neue Normal‘ nach dem Mauerfall angenommen haben, war nur ein kurzes Intermezzo. Diese Erkenntnis kann weh tun. Andreas Reckwitz war bei SRF Sternstunde Philosophie zu Gast, die Sendung gibt es auch als Podcast-Episode:
Andreas Reckwitz: Man dachte, alles läuft auf die westliche Moderne zu. Sie steigert sich selber noch einmal, sie transformiert sich positiv durch die Digitalisierung. Und der Rest der Welt macht mit.
Interviewer: Man erkennt das an Werbesprüchen. Toyota fängt 2000 an zu sagen: „Nichts ist unmöglich.“ Ja. – Ein expansives Bewusstsein. Wir können alle überall hinfliegen. – Es gibt die Generation Easyjet. Die Welt war unsere kleine Auster, und wir konnten alles tun. Genau.
Andreas Reckwitz: Glaube an die Globalisierung, an ihre positive Kraft. Glaube an die Demokratie als die Staatsform, die sich auf dem ganzen Globus ausbreiten wird. Auch der Glaube an den technischen Fortschritt hatte sich auch revitalisiert. Das war ja vorher auch anders, z.B. bei der Atomkraftdebatte. Insofern erschien es eigentlich in den 90er- und Nullerjahren so, als ob sich doch wieder alles auf das Fortschritts- und Zukunftsgleis eingespielt hätte. Es schien, als hatten wir vorher nur ein depressives Intermezzo. Die Moderne geht weiter. Aber tatsächlich scheint es, dass es umgekehrt ist, dass die 90er- und Nullerjahre ein euphorisches Intermezzo waren. Also es schien nur so, dass der Fortschritt die einzige Möglichkeit in der Zukunft ist. Und das hat sich tatsächlich in den letzten Jahren verändert durch eine ganze Reihe von Faktoren. Auch der Aufstieg des Populismus zeigt ja den Protest und die Empörung von Modernisierungsverlierer/-innen, die sagen: „Das ist nicht unser Fortschritt.“ „Wir sind hier die Vergessenen, wir sind die Verlierer.“ Dann kommt natürlich jetzt mit Wucht das Bewusstsein des Klimawandels. Den gab es vorher auch schon, aber das Bewusstsein ist jetzt stärker. Das ist hinzugekommen. Dann eben noch, was wir schon angesprochen haben, die Erosion der liberalen Weltordnung. Die globale Ordnung ist bei weitem nicht mehr so stabil, wie wir das gedacht haben. […]
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Das Buch von Sara Weber ist im Jahr 2022 erschienen, ich hab es leider noch nicht ganz zu Ende gelesen. Es soll trotzdem in diesem Blog nicht unerwähnt bleiben. Schon allein wegen des treffenden Titels.
Und da ist nicht nur die Pandemie. Überschwemmungen, Waldbrände, Inflation, Krieg – unsere Welt steht in Flammen, im wahrsten Sinne des Wortes. Und wir? Brennen aus, um bloß keine Deadline zu reißen. Was zur Hölle machen wir da eigentlich? Warum tun wir uns das an? – Kiwi Verlag
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Auf dem Herbstforum des WSI (Wirtschafts- und Sozialwirtschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung, Deutscher Gewerkschaftsbund) wurde eine Lesung und Diskussion aufgezeichnet:
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Im zweiten Teil des Buches zeigt Weber Lösungen auf und schreckt nicht davor zurück, auch Themen anzusprechen, die auf den ersten Blick nicht arbeitsrelevant erscheinen. Zum Beispiel die Sorgearbeit. Denn nur wenn diese zwischen den Erziehungsberechtigten fair aufgeteilt ist und staatliche Unterstützung ermöglicht wird, kann wahre Gleichberechtigung beginnen.
Ein weiterer Aspekt sind Streiks und Gewerkschaften. Was wäre, wenn wir uns besser organisierten? Die vermehrten Lohnkämpfe im Jahr 2022 im deutschsprachigen Raum zeigen: Die Frage kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Für Arbeitsrechte musste schon immer protestiert werden. Jetzt und in Zukunft vielleicht mehr denn je.
Regisseur John Webster geht mit seinem Film ans Eingemachte der Büroarbeit. In Interviews geben Burnout-betroffene Angestellte einen Einblick in ihr Seelenleben. In das tägliche Spielen ihrer Rolle, der systematischen Unehrlichkeit und den gesellschaftlichen sowie eigenen Erwartungen. Dem Stigma, dass es scheinbar nur ihnen selbst schlecht geht, das Privatleben leidet – während alle anderen scheinbar gut klarkommen. Die große Frage des Films, der im Jahre 2022 erschien: „Wie entsteht eine toxische Arbeitswelt, die Kreativität und Freude fast systematisch verhindert?“
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Der Film ist aktuell bis 3.12.2024 in Österreich bei ORF.ON streambar, englischer Original-Titel: „The Happy Worker – Or How Work Was Sabotaged“.
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Wir fliegen auf einem Gesteinsbrocken durch die Unendlichkeit. Ohne ein uns bekanntes Ziel, ohne klare Mission, ohne dass uns jemand ein Briefing gegeben hat.
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Viele Menschen haben sich schon zuvor mit dieser großen Frage beschäftigt, u.a. Albert Camus mit seiner Philosophie des Absurden (im Rahmen des Existenzialismus):
Wie Camus in Der Mythos des Sisyphos ausführt, widerspreche diese Vorstellung allerdings nicht notwendigerweise der Bejahung des Lebens und dem Glück des Menschen, das gerade in den nie endenden Anstrengungen gegen eine absurde Welt gefunden werden könne. https://de.wikipedia.org/wiki/Sinn_des_Lebens
Der Psychotherapeut Irvin D. Yalom identifizierte vier Grundtatsachen des Lebens. Eine davon: „das Fehlen eines offensichtlichen Sinns oder einer Bedeutung des Lebens“.
„Meiner Meinung nach sind vier existentielle Grundtatsachen in der Psychotherapie besonders relevant: die Unausweichlichkeiten des Todes für jeden von uns und für die, die wir lieben; die Freiheit, unser Leben nach unserem Willen zu gestalten; unsere letztendliche Isolation und schließlich das Fehlen eines erkennbaren Lebenssinns. So grausam diese Grundtatsachen auch sein mögen, sie bergen den Keim von Weisheit und Erfüllung. Ich möchte anhand dieser zehn Geschichten aus der Psychotherapie zeigen, daß die Menschen ihr Leben verändern und sich weiterentwickeln können, wenn sie sich diesen existentiellen Wahrheiten stellen und sich deren Kraft zunutze machen.“
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Zugegebenerweise ist das Buch dicker Brocken, den ich zum vollen Verständnis noch ein zweites Mal lesen müsste. Die gute Nachricht aus diesem Buch: Es ist psychisch vollkommen gesund, sich die Frage(n) nach dem Sinn des Lebens zu stellen. Eine weitere Erkenntnis: Sinn ist nicht zwangsläufig auch Glück. Es gibt zudem nicht nur die eine Frage nach dem Sinn des Lebens.
Diese Sinn-Fragen stellen sich potenziell umso mehr, je stärker wir mit Bezug auf Klimakrise, Artensterben & Co Fragen stellen wie „Warum Wirtschaften, Arbeiten, Leben wir so, wir es aktuell tun?“.
Die Psychologin und Verhaltenstherapeutin Katharina van Bronswijk hat im Jahr 2022 das Buch „Klima im Kopf“ veröffentlicht. Sie ist seit 2009 im Klimaschutz aktiv. Die Initiative GöttingenZero hat sie im Juni 2023 zu einem ausführlichen Vortrag eingeladen, die Aufzeichnung findet sich hier:
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Videobeschreibung: „Die Psychologin und Autorin des Buchs „Klima im Kopf“ Katharina van Bronswijk führt uns mit ihrem Vortrag ins Reich der Psychologie und erklärt, warum es Menschen so schwerfällt, trotz des Wissens um den Klimawandel konsequent ins Handeln zu kommen. Faktenreich und mit einem Augenzwinkern werden die Selbstreflektion und auch das gegenseitige Verständnis gefördert, die eine Brücke bauen können um diese Lücke zwischen Wissen und Handeln zu überwinden. […] Der Vortrag fand am 18.06.2023 in der Albanikirche Göttingen im Rahmen der Göttinger Klimaschutztage statt. Organisiert von der Klimaschutzinitiative GöttingenZero.“
Anstrengend zu hören, aber super lohnenswert. Themen: Aktueller Stand des Kampfes gegen die Erderhitzung, bisheriges Scheitern der Aktivismusformen, Rolle der Gewerkschaften, der immer stärker drohende Klimakollaps, Nachrichtenmüdigkeit, Rechtsruck – und wie es nun weiter gehen kann, ohne sich selbst etwas vorzumachen.
Prof. Dr. Sascha Friesike klärt die Frage, ob wir nun in einer Dauerkrise leben – und ob dies wirklich ein neuer Zustand ist. Ich persönliche finde solche Betrachtungen aus der „Vogelperspektive“ immer wieder unglaublich wichtig, um sich zu verorten in der Welt:
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Der YouTube-Kanal von Sascha Friesike und seinem Team (finanziert über RBB) ist generell eine absolute Follow-Empfehlung wert: Menschen und Muster.
Konstruktive Hoffnung: Es hilft potenziell, wenn man besser versteht in was für einer Welt und unter welchen Rahmenbedingungen man sein Leben gestaltet. Mental kann man sich hierauf ebenfalls ggf. teils vorbereiten (Resilienz). Siehe bspw. Klimagefühle-Buch und viele weitere Quellen.
Fröhlich arbeiten, während die Klimakrise weiter eskaliert?
Dieser Blog beschäftigt sich mit den Widersprüchen der aktuellen Arbeitswelt im Kontext der Klima- und Biodiversitätskrise, primär aus Sicht von „normalen“ Angestellten.
Hinweis zu mentaler Gesundheit
Falls dich die Nachrichten zur Lage der Welt oder die Klimakrise sehr stark belasten, gibt es Unterstützungsangebote. Niemand ist allein damit! 💚