Der Aktivist Tadzio Müller geht da hin, wo es weh tut: Trotz der unzähligen Notrufe an Politik und Wirtschaft wurde bisher zu wenig gehandelt, das 1,5-Grad-Limitierungs-Ziel ist bspw. schon nicht mehr realistisch erreichbar. Was bringen also weitere Appelle an Regierung & Wirtschaft, mit denen man es schon die letzten 15 Jahre versucht hat? Mit seiner Kritik spricht er sicher auch vielen frustrierten und verzweifelten Menschen aus der Seele, die das Nicht-Handeln von Regierungen mit ansehen:
Das im Video angesprochene Podium aus Leipzig findet sich hier als Aufzeichnung:
Eine Antwort auf den Tweet gab es u.a. von Klimapsychologin Lea Dohm:
Zum Kontext:
Tadzio Müller ist unter anderem Mitgründer des Bündnisses Ende Gelände.
Bezüglich einer möglichen Radikalisierung der Klimabewegung warnte Müller selbst in der Vergangenheit, wenn die Entscheider:innen nicht Handeln und den nötigen Klimaschutz weiter blockieren. Hier gab es bereits einige kontroverse Debatten – auch zur strategischen Ausrichtung der Klimabewegung:
Was, wenn weiterhin so unzureichend und langsam gehandelt wird? Super gut gemachter Beitrag von der Deutschen Welle, in welcher die Extremszenarien mal ernsthaft diskutiert werden und auch IPCC-Wissenschaftler:innen sowie auch eine Psychologin dazu Stellung bezieht. In der Reportage von Aditi Rajagopal wird der „happy doomer“ Ben Green vorgestellt. Er hat im sächsischen Wald eine Art Kunstprojekt gestartet hat, in welchem er sich mit dem Wiederaufbau der Zivilisation beschäftigt.
In meinen Augen ein eindrückliches Beispiel für die Verarbeitung von Klimagefühlen.
Die Versuche rund um „climate mitigation“ (Begrenzung der Erwärmung) erscheinen weiterhin zermürbend, politische Mehrheiten fehlen aktuell oft und die dringend nötige Begrenzung der Erhitzung um jedes Zehntelgrad erfordert zudem globale politische Kooperation als auch wirtschaftliche Veränderungen – und nicht zuletzt ist es ein Kampf gegen bestehende Wirtschafts-Lobbys und finanzielle Interessen. (Einen großen Respekt an alle Aktivist:innen an dieser Stelle, die für eine lebenswerte Zukunft dagegenhalten!)
Eine zweite wichtige Säule – neben der Begrenzung – ist die „Anpassung an die globale Erwärmung (Climate change adaptation)„. Ich habe mich hier noch nicht vertieft, sehe hier jedoch vor allem Potenzial für den Vertrauensaufbau in demokratische Institutionen wenn Zukunftspläne zum Schutz der Bevölkerung klar kommuniziert werden und man sich gesellschaftlich gemeinsam vorbereitet auf die kommenden Jahre. Vor allem weil hier lokal gehandelt werden kann:
(Wobei sich in einer aktuell teils individualisierten Gesellschaft natürlich schon die Frage stellt wie man sich oder seine Familie ggf. vor Hitze schützt bzw. finanziell weiterhin über die Runden kommen, etc.)
„Ein wesentlicher politischer Konflikt in Deutschland und Europa lässt sich – etwas verkürzt – so zusammenfassen: Der Klimawandel wird immer stärker spürbar, der Druck “etwas zu tun” nimmt zu. Viele schon beschlossene und gerade zur Verabschiedung anstehende Maßnahmen, um ihn aufzuhalten oder wenigstens zu verlangsamen, sind aber, auch dank jahrzehntelanger Vertrödelung, teuer und potentiell sozial ungerecht. Sie greifen teilweise tief in den Alltag der Bevölkerung ein. Der Wille, staatliche Eingriffe zu tolerieren und finanzielle Lasten für eher abstrakte Meta-Ziele zu stemmen, ist aber durch Seuche, Krieg und Inflation bei vielen Menschen deutlich eingeschränkt.“
Kurioserweise kann man den Vorwurf des selektiven Technologieoptimsmus aber auch völlig berechtigt der Gegenseite machen. Generell herrscht im Lager der Klimaschutz-Aktivisten das Dogma, dass zukünftige Technologien am besten gar nicht debattiert oder betrachtet werden und keinesfalls Hoffnungen darauf erzeugt werden sollten, weil das nur von heute notwendigen Emissionsreduktionen ablenkt. Gleichzeitig setzen sie aber ebenfalls auf Hoffnungstechnologien, bei denen Einwände bezüglich des heute technisch real Erreichbaren eher hemdsärmelig wegargumentiert werden: Solarzellen mit ultrahohem Wirkunsggrad, das “Smart Grid”, neue Akkutypen mit hoher Speicherdichte und Haltbarkeit, supertolle Wärmepumpen, Elektroautos mit immer größerer Reichweite, günstige Wärme- und Stromspeicher, “künstliche Intelligenz” für Energiemanagement.
Die aktuelle Diskussion um die zügige Abschaffung von Öl- und Gasheizungen ist ein gutes Beispiel dafür. Sie wird unterfüttert von best-case-Rechnungen und nicht immer durchgehend in der Realität verankerten Annahmen über Produktions-, Planungs- und Installationskapazitäten, technische Leistungsfähigkeit und Energieeffizienz unter suboptimalen Altbau-Bedingungen und zukünftigen Preisverfall.
Es gibt jedoch zwischen den beiden Seiten einen grundlegenden Unterschied:
Die meisten “FDP-Technologien” benötigen für eine relevante Wirksamkeit noch signifikante Forschungs-Durchbrüche und absehbar lange Entwicklungszyklen.
Die “Grünen-Technologien” erfordern primär inkrementelle Verbesserungen bereits heute verfügbarer Systeme, Ausweitung von Produktions- und Installationskapazitäten, massive Investitionen für den Aufbau von umfangreicher neuer Infrastruktur und – der wichtigste Faktor – die Bewältigung von systemischer Komplexität.
„Natürlich kann man die Energiewende aus der idealisierten Perspektive einer technisch begabten Normfamilie im neugebauten Vorort-Einfamilienhauses mit guter Isolation, Carport mit Ladeanschluss, Platz für Solarzellen, Heizwasserspeicher, Stromspeicher-Akku und moderner Wärmepumpe konzipieren. […] Die Realität der meisten Menschen sieht jedoch anders aus. Sie wohnen statistisch gesehen in in einem Mehrfamilienhaus, haben dank Inflation, Reallohn-Schrumpfung, steigender Wohnkosten und Umverteilung von unten nach oben eher wenig frei verfügbares Einkommen, sind oft schon bis hart an die Grenze des stemmbaren verschuldet und reparieren ihr Auto solange es noch irgendwie geht, weil ein Neuwagen schon bei Nullzinsen schwer finanzierbar war und mit den heutigen Zinsen vollends illusorisch geworden ist. Selbst Eigentumswohnungs-Besitzer haben meistens nicht genug finanzielles Polster, um größere Investitionen zu tätigen.“