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Strategien für das Arbeiten in einer Welt, die sich weiter erhitzt

„Bullshit Jobs“ gibt es doch nicht als Massenphänomen?

Autor: Matthias

Andreas Sator hat in seinem Blog eine Erwiderung zu der „Bullshit Jobs“-These vom Anthropologen David Graeber (†) veröffentlicht. Graeber veröffentlichte 2018 ein Buch:

In Bullshit Jobs konstatiert Graeber, dass die von John Maynard Keynes prophezeite 15-Stunden-Woche in einigen Ländern mittlerweile eigentlich umsetzbar wäre.[4] Allerdings sei es nicht zu einer signifikanten Arbeitszeitverkürzung, sondern zu einer Ausbreitung von Bullshit Jobs, von Fake Work, gekommen. Diese würden keinen gesellschaftlichen Nutzen erbringen und würden auch von den Menschen, die sie ausüben als nutzlos empfunden:

Ein Bullshit Job ist eine Form der bezahlten Beschäftigung, die so vollständig sinnlos, unnötig oder schädlich ist, dass sogar die Beschäftigten selbst die Existenz der Beschäftigung nicht rechtfertigen können, auch wenn die Beschäftigten sich durch ihre Arbeitsbedingungen gezwungen fühlen, dies nicht zuzugeben.[5]

https://de.wikipedia.org/wiki/Bullshit_Jobs

Diese „Bullshit Jobs“ können laut Graeber jedoch durchaus gut bezahlt sein, es geht also auch um Office und Management Jobs statt echte „Scheißjobs“:

Ein häufiger Irrtum laut Graeber selbst sei, dass ein Bullshit-Job ein schlechter Job sein müsste. Dabei habe er festgestellt, dass nicht harte, schmutzige oder gefährliche Arbeit als besonders sinnlos gesehen würde, sondern eher Bürotätigkeiten und Arbeiten im mittleren Management. Im Interview mit dem Standard sagte er einst: „Wenn Sie glauben, dass die Welt ohne Ihre Tätigkeit gleich oder sogar etwas besser wäre – das ist ein Bullshit-Job“.
moment.at

Für Sator war diese These nie vollkommen überzeugend:

Ich fand diesen Ansatz immer schon hanebüchen. Es erschien mir heillos naiv zu glauben, dass private Unternehmen so viel Geld verschwenden würden.
– Andreas Sator, Das Konzept von Bullshit Jobs ist selbst, nun ja, Bullshit

Die Erwiderung, die Andreas Sator nun zitiert, stammt vom Ökonomen David Deming und trägt den Titel „In defense of email jobs. Office work and the economic value of better communication„.

[L]et me try to convince you that office work is underrated. The output of many white-collar jobs is not a physical product, but rather improved communication with coworkers, clients, and organizational leaders.

Mit dem Thema verknüpft ist vermutlich auch die Sehnsucht vieler Menschen, lieber etwas klar „Sinnstiftendes“ zu tun oder etwas Handfestes zu produzieren – statt Zahlen in Excel-Spreadsheets einzutragen oder den ganzen Tag in Meetings zu sitzen:

David Graeber railed against the tremendous growth in professional, managerial, and clerical jobs over the last century in his famous treatise on “bullshit jobs”. In Office Space, Peter contrasts the soul-deadening monotony of his well-paid 9-to-5 office job at Initech (“I’d say, in a given week, I probably only do about 15 minutes of real, actual work”) with the simpler, happier life of his neighbor Lawrence, who works in construction. Frank Sobotka from The Wire famously said “We used to make shit in this country, build shit…now we just put our hand in the next guy’s pocket.” And both presidential candidates are talking constantly about the need to bring manufacturing jobs back in America, so we can “build shit” again (my words, not theirs).

Still, let me try to convince you that office work is underrated. The output of many white-collar jobs is not a physical product, but rather improved communication with coworkers, clients, and organizational leaders. Better communication ensures that the right people are doing the right tasks, and better transmission of valuable information improves managerial decision-making.

Fast forwarding to the present, we see that many jobs in the U.S. economy exist almost entirely to facilitate communication and improve the flow of information.

Diese Entwicklung ist also bspw. auch mit dem Wandel von einer Industrie- hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft in Ländern wie Deutschland verknüpft, bei dem Beschäftigung im Sektor „Produzierendes Gewerbe“ abnimmt während Beschäftigung im Sektor „Dienstleistung“ zunimmt. Der Abschied von der massenhaften Fabrikarbeit, der „Blue Collar Work“ – hin zur White Collar Work, der Arbeit als Angestellte/r.

Eine weitere (respektvolle) Kritik konnte ich in der SZ finden. Sie stammt von Oliver Nachtwey, Professor für Sozialstrukturanalyse an der Universität Basel und trägt den Titel „Bullshit Jobs“: Verschwörungstheorie trifft intellektuellen Populismus:

Das Management, wenn es nicht gerade Bullshit-Jobs produziert, ist häufig ein Komplize. Entweder versucht es, die Arbeitsmoral durch die Simulation von Aufgaben zu trimmen, oder es deckt die Bullshit-Jobs. Warum es nicht das macht, was es laut fast allen anderen professionellen Beobachtern tut – überflüssige Jobs entweder produktiver zu gestalten oder sie wegzurationalisieren -, das erfährt der Leser des Buches nicht.

Als gesellschaftlich tragisch entpuppen sich besonders jene Jobs, die sinnvoll sein könnten, es aber nicht sind. Bei vielen Angestellten in den sozialpolitischen Apparaten, die Menschen in Notlagen wirklich helfen könnten, ist die wesentliche Aufgabe eine andere: die Aufrechterhaltung der bürokratischen Ordnung, die sich nicht nach den Bedürfnissen der Menschen richtet, sondern nach der Einhaltung von Regeln. Zur Beweisführung reiht Graeber Anekdote an Anekdote. Dass er sich in seinen Beispielen selbst widerspricht – einige Personen arbeiten doch in einfachen, schlecht bezahlten Dienstleistungsjobs -, kümmert ihn nicht.

Graeber streut in seiner Argumentation auch immer wieder verschwörungstheoretische Elemente ein. Er nimmt an, dass die politischen und wirtschaftlichen Eliten Bullshit-Jobs auch deshalb schaffen, damit die Leute nicht auf dumme Gedanken kommen und eine bessere Gesellschaft einfordern. Wenn es denn so einfach wäre.

Der seltsame, holzschnittartige intellektuelle Populismus verbaut Graeber die saubere Analyse seiner eigenen These. Das ist auch insofern irritierend, da er in seinem letzten Buch „Bürokratie. Die Utopie der Regeln“ bereits eine vielversprechende analytische Fährte gelegt hatte, die er aber aus ungeklärten Gründen nicht mehr weiterverfolgt. Diese Spur führt zu einer systemischen Erklärung von Bullshit-Jobs. Es ist gerade die Ausbreitung von Marktmechanismen, die zur Vermehrung von Regeln, Bürokratie und schließlich sinnlosen Tätigkeiten beiträgt. Anders als der Mythos es will, regelt der Markt ziemlich wenig außer den unmittelbaren Transaktionen. Für Qualität, Sicherheit, Umweltschutz, Arbeitsschutz braucht es Verträge und Regeln und schließlich Dritte, die das alles koordinieren. Hier liegt eine der Quellen der Bullshit-Jobs. Auch Unternehmensfusionen erzeugen häufig nur sehr begrenzt Effizienzgewinne, da die verschiedenen Management- und Kostensysteme nun koordiniert werden müssen.

Nun kann der 2020 verstorbene David Graeber hierzu leider keine Stellung mehr beziehen. Die aktuellen Diskussionen um New Work, Purpose im Job & Co zeigen, dass er thematisch durchaus die richtige Fährte verfolgte. Der Dokumentarfilm „Arbeit ohne Sinn (The happy worker)“ von John Webster griff dies 2022 ebenfalls auf:

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Ich wollte hierzu noch das 2023 erschienene Buch „Wofür wir arbeiten“ von Barbara Prainsack, Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, lesen – bin aber leider noch nicht dazu gekommen.

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Beitragsbild: Bing Image Creator (KI), gerne frei weiterverwenden.

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