Nach der Klima-Hoffnung und den Massenprotesten der letzten Jahre folgte nun spätestens dieses Jahr die Klima-Ernüchterung. Die „Just Stop Oil“-Aktivistin Louise Harris hat schon im letzten Winter den Song „We tried“ veröffentlicht. Dieser passt wohl eindrücklich zum kollektiven Trauer- und Verarbeitungsprozess bezüglich des nun eindeutigen gescheiterten 1,5-Grad-Ziels. Und auch das 2-Grad-Ziel wird zukünftig nicht erreichbar sein laut aktuellen Prognosen. Wie geht es jetzt weiter?
Das Video aus dem Jahr 2023 endete noch mit dem kämpferischen Hinweis auf das kurze Zeitfenster, in welchem die Erderhitzung noch sinnvoll begrenzt werden kann.
Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der Wiener BOKU, hat sich immer wieder lautstark engagiert. Er hatte sich zuletzt auch mit der Protestbewegung Letzte Generation solidarisiert, die inzwischen ihre bisherige Protestform eingestellt hat. Im Interview bei FM4 erklärt Steurer, warum er keine politischen Anzeichen sieht, dass dieses kurze Zeitfenster noch ernsthaft genutzt wird von der Weltgemeinschaft – und wie für ihn ein „Klimaschutz 2.0“ aussehen könnte:
Radio FM4: Sie sagen, dass sie keine falschen Hoffnungen wecken wollen. Bedeutet das, dass Sie nicht mehr daran glauben, dass die Menschheit die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise aufhalten kann?
Reinhard Steurer: Was sagt das IPCC im letzten Bericht, der mittlerweile schon zwei Jahre alt ist: Wir haben ein sehr kurzes Zeitfenster, um ein stabiles Klima sicherzustellen. Und es schließt sich schnell. Jetzt sind wieder zwei Jahre vergangen. Im Jahr 2024 sind entscheidende Wahlen gewesen in Europa, in Österreich, in den USA. Und die sind so ausgegangen, dass sich eine Mehrheit offensichtlich von der wissenschaftlichen Faktenlage abgewendet hat. Das bedeutet, dass wir dabei sind, dieses kurze, sich schnell schließende Zeitfenster gehen zu lassen.
Steurer skizziert auch wie ein“Klimaschutz 2.0″ aussehen könnte:
Radio FM4: Sie wollen sich nicht mehr auf das Abwenden der Klimakatastrophe konzentrieren. Sie wollen eine sogenannte „bessere Katastrophe“. Was meinen Sie genau damit?
Reinhard Steurer: Naja, wenn nicht gerade ein Wunder passiert, ein gesellschaftspolitisches, technisches, dann ist es einfach so, dass wir uns auf katastrophale Entwicklungen vorbereiten müssen. Das sagen alle Szenarien, alle Vorhersagen. Und das bedeutet, dass wir Stück für Stück, ganz schleichend und manchmal schubweise, Teile dieser Zivilisation verlieren werden. Das fängt in manchen Ländern mit einem Abbau der Demokratie an, in den USA zum Beispiel, und in anderen mit einem Verlust von Infrastruktur. Manchmal kommen mehrere Dinge zusammen, wenn größere katastrophale Ereignisse eintreten. Die Herausforderung wird sein, damit umzugehen lernen.
[…] Also ich denke, es ist, wenn man realistisch bleibt, an der Zeit, sich auf eine katastrophale Entwicklung vorzubereiten. Was aber nicht heißt, dass alles zu spät ist und es nichts mehr zu tun gibt, sondern die Ansage lautet jetzt: Ich will eine bessere Katastrophe. Es gibt immer Möglichkeiten, Dinge besser zu machen.
Diese Einsicht könnte zukünftig auch die Abkehr vom Schlachtruf „Jedes Zehntelgrad weniger zählt!“ als oberste Priorität bedeuten und stattdessen Klimaanpassung und Demokratieschutz mehr in den gesellschaftlichen / aktivistischen Vordergrund rücken.
Radio FM4: Sie haben auf Social Media geschrieben, „man soll nicht mehr Erbsen zählen, wenn die Hütte brennt“. Welche Botschaften soll man jetzt in der Klimapolitik kommunizieren? Nicht mehr, dass jedes Zehntelgrad Erwärmung zählt?
Reinhard Steurer: Natürlich zählt jedes Zehntel-, jedes Hundertstelgrad Erwärmung – Erhitzung würde ich sagen – weil Erwärmung immer so harmlos klingt, jeder möchte es wärmer. Aber es ist nicht mehr die Priorität Nummer eins, sondern da würde ich an die erste Stelle wirklich Demokratie- und Zivilisationsschutz stellen. Ich würde zum Beispiel keine klimapolitische Maßnahme mehr gegen den Willen der Mehrheit befürworten, weil uns das im Grunde nur in Richtung einer faschistischen Entwicklung führt.
Das gesamte Interview ist hier zu finden: Klimaschutz 2.0 ist Zivilisations- und Demokratieschutz (FM4).
Ähnlich argumentierte zuletzt auch der Aktivist Tadzio Müller im taz Salon:
Also wir haben tatsächlich damals gegen jede Person, die Anpassung gesagt hat, da haben wir gegen gekämpft. Das war irgendwie ein bisschen eine weirde Position im Nachhinein, aber ich hab es damals verstanden. Also wir wollen nicht den Leuten den psychologischen Weg weg von der Mitigation und der Emissionsreduktion nehmen. Aber mittlerweile ist halt so, okay der psychologische Weg ist andersrum. Also jetzt will ich die Leute nicht mehr in dieser Frage der Emissionsreduktion hängen lassen, weil da werden sie nur deprimiert werden. Ich will sie jetzt in diese Debatte um die Klimaanpassung ziehen, weil ich glaube dass da noch […] progressive Geländegewinne zu erzielen sind. Weil „Alle schützen alle“ ist ein grundsätzlich geileres Prinzip als „Wasser nur für Deutsche“. Ich sehe da wieder Möglichkeiten. […]
Den ganz aktuellen Stand zur Erderhitzung hat Harald Lesch vor wenigen Tagen dargestellt (ab Minute 43:00 im Video): Ganze +1,63 °C waren es von Juni 2023 bis Mai 2024 schon. In 40 Jahren wären es dann – wenn es so weitergeht – schon ca. +2,63 °C globale Erhitzung. Was ungefähr so viel bedeutet wie „Manche Sommer sind so heiß, dass hinausgehen tödlich sein kann. Hohes Risiko für Lebensmittelknappheit“.
Katharina Rogenhofer vom Kontext Institut versucht in ihrem aktuellen Beitrag „Win-Win statt No-Go. Klima-Vorsätze: So pumpen wir nicht jedes Jahr Keller aus“ einen realistischen Ausblick auf das Jahr 2025:
In der EU jedoch gibt es Grund zur Hoffnung: der Green Deal lieferte wichtige Fortschritte, der erwartete Rechtsruck ist ausgeblieben und Ursula von der Leyen ist weiterhin Kommissionspräsidentin. Gerade ihre eigene Partei sägt aber immer wieder heftig an den errungenen Fortschritten.
Würde ich zum Ende des Jahres also einen Unspruch des Jahres küren, wäre es wohl „Wir stehen hinter den Klimazielen“. Wer das sagt, will oft im selben Atemzug davon abrücken.
[…] Um diese Win-Wins auf den Boden zu bringen, braucht die nächste Regierung, neben dem Willen zur Umsetzung, auch die Unterstützung von Klima- und Wirtschaftsinstituten, Unternehmen und Interessensvertretungen. In Ansätzen passiert das bereits. Auch in der Wirtschaftskammer gibt es viele Mitgliedsunternehmen und Funktionär:innen, die in der Ökologisierung der Wirtschaft eine große Chance sehen.
Meine Hoffnung für das neue Jahr ist, dass genau diese Menschen mehr Gehör finden, wir vermeintliche Gegensätze überwinden und stattdessen die Köpfe zusammenstecken und das Notwendige tun, um die Klimaziele zu erreichen und die Gesellschaft und Wirtschaft in Österreich voranzubringen.
Das Thema wird vorerst wohl eine gesellschaftliche als auch individuelle Zerreißprobe bleiben. Was alle Meinungsbeiträge eint: Zu tun gibt es dennoch genug in Zukunft.
Wer für diese teils düsteren Aussichten einen positiven Anker zum Festhalten sucht: Menschen helfen sich im Katastrophenfall, es bricht nicht direkt Bürgerkrieg aus – Rutger Bregman oder Klimagefühle: Tipps für den Umgang mit Angst.
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