Mit „Potenziell furchtbare Tage – über Anti-Work, Menstrual Health und das gute Leben“ veröffentlicht die Autorin Bianca Jankovska ein großartiges und befreiendes Manifest für alle, die mit dem aktuellen System der Lohnarbeit hadern:
Bianca Jankovska legt im Buch schonungslos ihre eigenen Struggles offen. Sie beschäftigt sich anschließend mit der Frage „Gibt es gute Arbeit?“. Ihre Antwort: „Ja, in der Theorie schon. Aber nur für verdammt wenige.“ Das System ist daher stark limitiert und nicht primär auf die Erfüllung und das Glück der arbeitenden Menschen ausgelegt.
Man muss einfach nur das finden, was einem „Spaß“ macht? – Bullshit laut ihr.
Eine wichtige Feststellung vorab:
„Anti-Work bedeutet übrigens nicht, nie mehr zu arbeiten. Die Idee dahinter ist viel mehr, dass wir uns als Gesellschaft von krankmachenden Arbeitszwängen lösen“.
Aber starten wir bei den Job-Struggles …
„Seit meinem ersten Tag wollte ich immer nur kündigen“
„Um ehrlich zu sein, gibt es nicht einen einzigen Job, den ich gerne behalten hätte, dem ich nachtrauere, von dem ich angetrunken stolz Anekdoten leiere.
Seit meinem ersten Tag als Angestellte wollte ich immer nur kündigen. Es war ein starkes Gefühl, wie ein Brechreiz, das ich nicht zurückhalten konnte. Dieses Grundgefühl änderte sich nicht. Auch nicht mit 23, 27 oder 30 Jahren Lebenserfahrung. Obwohl ich bis dahin jedes Jahr darauf hoffte.“
Wer vollwertig zur Gesellschaft gehören will, sollte im Arbeitsleben aber funktionieren:
„Keinen Job behalten zu können, ist gesellschaftlich nicht anerkannt. Auch nicht unter den coolen Kids. Über Chefs zu meckern gehört zum guten Ton, solange man morgens doch wieder brav zur Arbeit geht. Gekündigt zu werden hingegen ist für viele ein Zeichen von Schwäche, ein Indikator von „Asozialität“. […] Unsere menschliche Daseinsberechtigung, unser Platz in der Gesellschaft wird durch diese eine Fähigkeit bestimmt, die über allen anderen steht: einen Job zu behalten.“
Man muss einfach nur das finden, was einem „Spaß“ macht?
Doch was ist, wenn es für einen halt nicht funktioniert?
Hat man dann noch nicht den richtigen Job gefunden, der einen erfüllt? Sich nicht genug bemüht bei der Suche? Bianca Jankovska widerspricht hier vehement:
„Zurück zu den fragenden Journalisten. Ich höre schon ihre Stimmen. „ABER MENSCHEN MÜSSEN DOCH ARBEITEN!“ Ja. Es stimmt schon: Menschen sind nicht dafür gemacht, gar nichts zu tun und ihren Alltag auf dem Sofa zu verbringen. Dafür ist Langeweile viel zu schmerzhaft. Doch darum geht es doch gar nicht, wenn mir die Frage nach der guten Arbeit gestellt wird. Die Fragestellenden wollen oft einfach nur hören, dass es doch möglich sei, in diesem System zu gewinnen, dass man einfach nur das finden müsse, was einem „Spaß“ macht – aber dem widerspreche ich vehement.
„Es gibt für den Großteil der Menschen keine gute Lohnarbeit“
Für die Autorin ist eindeutig klar, dass das aktuelle System stark limitiert ist:
Nein, es gibt für den Großteil der Menschen keine gute Lohnarbeit, weil sie dabei ihre Autonomie und ihre Würde verlieren und nicht frei über ihren eigenen Körper verfügen können. Ich behaupte, die meisten Menschen würden vermutlich nicht jeden Morgen freiwillig um 7:30 Uhr das Haus verlassen, um irgendwo hinzufahren, nur um dort mit ihrer Lebenszeit Kapital für andere anzuhäufen, Regale einzusortieren, Toiletten zu putzen, alte rassistische Säcke zu pflegen oder Rechnungen in ein System einzutippen. Nein, die meisten Menschen haben nicht das Glück, ausschließlich Handgriffe auszuführen, die sie erfüllen, sondern müssen das machen, was sie bekommen. Nein, ich denke nicht, dass etwas gute Arbeit sein kann, wenn es Menschen ermüdet, auslaugt, psychisch wie physisch verwundet zurücklässt und keinen Raum lässt, gute Entscheidungen für die Zukunft zu treffen.
Gibt es gute Arbeit? Ja, in der Theorie schon. Aber nur für verdammt wenige.“
Good Jobs, Erfüllung bei der Arbeit, Sinn und Spaß – gibt es sicher alles.
Aber eben nicht als Garantie für alle. Das ist die elementare Unterscheidung.
Niemand muss sich schlecht fühlen, weil er/sie den für sich passenden Job noch nicht gefunden gefunden hat. Oder weil man schon wieder Probleme mit seiner beruflichen Rolle hat. Vielleicht lässt auch eigene Gesundheit ein „erfolgreiches“ Berufsleben erst gar nicht zu, so wie es Bianca Jankovska eindrücklich bzgl. PMDS beschreibt.
Niemand muss sich schlecht fühlen, wenn er / sie sich nicht genug zusammengerissen, nicht genug professionell distanziert, nicht gut genug das Theater mitspielen konnte.
Es ist in der Regel eben ein fremdbestimmtes System, in das wir uns zwangsweise eingliedern um unsere Lebensausgaben bestreiten zu können. (Wobei nicht mal das für viele Menschen in Lohnarbeit garantiert ist, Stichwort Cost-of-living crisis. Privilegiert sind schon die, die am Ende des Monats überhaupt noch etwas zurücklegen können.)
Anti-Work bedeutet nicht, nie mehr zu arbeiten
Bianca Jankovska bezieht sich in ihrem Buch stark auf die Idee einer Anti-Work-Haltung. Eine Debatte, die in den letzten Jahren wieder an Relevanz gewonnen hat:
„Anti-Work bedeutet übrigens nicht, nie mehr zu arbeiten. Die Idee dahinter ist viel mehr, dass wir uns als Gesellschaft von krankmachenden Arbeitszwängen lösen und damit aufhören, uns selbst auszubeuten oder schlecht zu fühlen, wenn wir einmal nicht arbeiten (können)“ (Quelle)
Neu ist die Debatte über den (Un-)Sinn moderner Arbeit natürlich nicht. Es gibt zahlreiche Bücher, Debattenbeiträge und Dokumentationen. Alternativen wie das Bedingungslose Grundeinkommen werden schon länger diskutiert, um den mentalen Druck aus dem System zu nehmen.
Unklar, ob oder wann solche Ideen Wirklichkeit werden.
Für alle die, die aktuell ihre Lohnarbeit versuchen geregelt zu bekommen, helfen soziale Utopien nur als Hoffnungsschimmer am Horizont.
Eine teils privilegierte Debatte
Und natürlich ist diese Debatte teils sehr privilegiert, akademisch, oft bezogen auf Bürojobs / „white collar work“ als Angestellte. Und nicht auf echte prekäre Arbeit.
Und nicht jede/r kann sich bspw. eine Kündigung oder das Reduzieren von Stunden für den mentalen oder gesundheitlichen Selbstschutz überhaupt leisten. Bei all dem stellt sich ebenso die Frage der Pensionsansprüche: Wer frei- oder unfreiwillig weniger Stunden pro Woche arbeitet, erhält weniger Rentenpunkte. Weniger Lohn = weniger Pension / Rente, Stichwort „Gefahr der Altersarmut“.
Du MUSST deine Rentenlücke berechnen?!
Und so tönt es von allen Social-Media-Finanzberatungs-Profilen:
Du musst deine Rentenlücke berechnen.
Die staatliche Rente wird nicht reichen.
Du musst investieren, absichern, vorsorgen.
Du musst Karriere machen – für mehr Rentenpunkte.
Du musst, musst, musst …
Österreicher:innen sagen hier süffisant „Müssen … tust nur Sterben“. Was einen wahren Kern hat: Das Rentenalter überhaupt zu erleben oder halbwegs gesund im Alter zu sein, dafür gibt es ebenso keinerlei Garantien. Jeder muss für sich selbst entscheiden, wie er / sie damit umgeht.
Anti-Work als „Selbstverteidigungs-Community“
Was an der Anti-Work-Bewegung daher aus meiner Sicht so besonders ist, ist der Community- und Selbsthilfe-Gedanke. Auch Bianca Jankovska schreibt:
Der Subreddit ANTIWORK ist deshalb so wichtig, weil er einen Safe Space für all jene bietet, die keine Lust auf Erwerbsarbeit für den Rest ihres Lebens haben. Und vor allem: diesen Wunsch dort auch artikulieren können, ohne als „faules“ Pack denunziert zu werden. Das ist das wirklich Neue an der ganzen Sache: Es geht nicht darum, wie man am schnellsten einen neuen Job findet (#bewerbungscoaching), sondern wie es gelingt, Arbeit zu dezentrieren. Und nein, das ist natürlich nicht immer einfach – oder gar möglich. […] Auch, wenn manche Aussagen wehtun (weil sie wahr sind): Es hilft zu lesen, dass andere genauso fed up sind, wie man selbst. Dass Adjektive wie „fleißig“ und „hard working“ ihrer Bedeutung beraubt und als uncool gelabelt werden.“ (Quelle)
Der gemeinsame Versuch also, einen gesunden und realistischen Umgang mit Lohnarbeit innerhalb der aktuellen Rahmenbedingungen zu finden.
Die Lüge vom Traumjob verlernen
Der befreiende Gedanke von Anti-Work:
Es gibt nicht diesen einen Traumjob, der mich erlöst.
Vielleicht bleiben meine Jobs zukünftig ein Kompromiss. Vielleicht finde ich etwas, was mehrere Jahre gut funktioniert – vielleicht aber auch eben nicht, dann muss ich alle paar Jahr den Job wechseln. Auch nicht schlimm. Oder vielleicht hat schon jemand anderes den „guten Job“, der auch zu mir gut gepasst hätte. Good for you!
Karriere ist sich beteiligen am großen Gerenne zu noch mehr Wachstum, also zur Zerstörung unserer Lebensgrundlagen
Vielleicht gibt es auch aktuell einfach nicht den „einen, guten Job“ für jemanden, der das jetzige zerstörerische System generell schwierig oder ablehnenswert findet:
„Früher galt Karriere als Gradmesser für ein gelungenes Leben. Auch mir. Veröffentlichungen, Preise, „Aber Karriere ist nichts anderes, als sich beteiligen am großen Gerenne zu noch mehr Wachstum, also zur Zerstörung unserer Lebensgrundlagen.“ – Raphael Thelen (via Bianca Jankovska)
Insbesondere die weiter eskalierende Klimakrise stellt – neben anderen Themen wie Globale Gerechtigkeit, Artensterben, etc. – das Wirtschaftssystem immer mehr in Frage.
Lohnarbeit ist fremdbestimmt
Die vorherrschende Berufswelt ist nicht primär auf unsere Gesundheit, unser mentales Wohlbefinden oder die persönliche Erfüllung ausgelegt. Sie ist aktuell nicht einmal auf den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen ausgerichtet. Sie ist historisch gewachsen, menschengemacht, fremdbestimmt, teils zwanghaft.
Und natürlich kann die Berufswelt ebenso Freude, Erfüllung, Gemeinschaft, soziale Integration und Anerkennung bieten. Garantiert ist dies aber eben nicht – und zusätzlich wächst die Arbeitsintensität in einigen Bereichen:
Die ungünstige Auswirkung physischer und psychosozialer Risikofaktoren am Arbeitsplatz auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Arbeitnehmer/innen gilt mittlerweile als gemeinhin anerkannt. […]
Erwerbstätige, die eine hohe Arbeitsintensität (hohes Arbeitstempo,
Zeit- und Termindruck) wahrnehmen, berichteten etwa doppelt so häufig
von physischen und psychischen Gesundheitsbeschwerden als diejenigen mit einer niedrigeren Beanspruchung. Auch Personen mit weniger
Entscheidungsfreiheit und Autonomie am Arbeitsplatz berichteten
über einen schlechteren Gesundheitszustand als Erwerbstätige mit mehr
Spielraum. (Quelle: Arbeiterkammer Wien, 2018)
Und natürlich wird auch am gesetzlichen Schutz und an Verbesserungen gearbeitet. Es gibt kleine Dinge wie Bildschirmpausen, Initiativen, die Einführung von Menstrual Leave in einigen Ländern, etc. etc. – und rechtliche Verpflichtungen für Unternehmen:
Arbeitgebende sind verpflichtet für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Bezug auf alle Aspekte, welche die Erwerbsarbeit betreffen, zu sorgen. (Quelle: arbeitsinspektion.gv.at)
Und es gibt es Vorstöße wie New Work, Purpose, die 4-Tage-Woche, Grundeinkommen, B-Corps, etc. etc. Ob und wann sich jedoch tiefgreifend für alle etwas ändert – unklar.
Es bleibt eine Situationship
Für viele von uns wird es daher vorerst weiterhin eine Situationship mit der kapitalistischen Lohnarbeit bleiben. Dies zu erkennen, ist der befreiende Moment.
Ich will den Kapitalismus lieben, weil soviel für ihn spricht
Ich will den Kapitalismus lieben, aber ich schaffe es einfach nicht
Funny van Dannen – Kapitalismus
Oder um es mit Kraftklub zu sagen:
Und wär ich jetzt nicht auf Tour
Dann säß ich wahrscheinlich in irgendeiner Drecksagentur
Wecker sechs Uhr, Bahnfahrt
Kurzes Feedbackgespräch mit dem Chef auf dem Flur
„Bist du zufrieden mit dem, was du leistest?
Geht da noch was, Junge, hast du das Mindset?“
Acht Stunden sitzen, Kampagnen pitchen
Werbetexte dichten mit dummen Wortwitzen
Und einzigem Sinn, die Masse da draußen
Dazu zu bringen, mehr Schwachsinn zu kaufen
Gott, ich bin jeden Tag dankbar dafür
Für ein’n Job ohne Selbsthass und Magengeschwür
KRAFTKLUB – Teil dieser Band
Neue Praktiken im eigenen Leben implementieren, die nichts mit dem ständigen Streben nach mehr zu tun haben
Die gute Nachricht: Man ist definitiv nicht allein mit diesem Struggle. ✊ Laut Bianca Jankovska gibt es mögliche Auswege, Methoden und Strategien zum Ausprobieren.
Und wer all diese Einschränkungen erkennt, kann neue Praktiken für sein Leben finden und sich von den Schuldgefühlen befreien, wenn es mal wieder nicht „gut“ läuft.
„Anti-Work bedeutet für mich als Lohnabhängige nicht, gar nicht zu arbeiten, sondern mich vom schlechten Gewissen der Nicht-Produktivität zu lösen. Von Zeit zu Zeit zu kündigen – nicht um sofort einen neuen Job anzufangen, sondern meine eigene mentale und physische Gesundheit zu retten. Die Lüge vom Traumjob zu verlernen und gleichzeitig neue Praktiken im eigenen Leben zu implementieren, die nichts mit dem ständigen Streben nach mehr zu tun haben.“
Buch-Empfehlung: Bianca Jankovska – Potenziell furchtbare Tage. Über Anti-Work, Menstrual Health und das gute Leben (Haymon Verlag).
Weitere Rezensionen:
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